Das erste Babyjahr – Zwischen Familienglück und vollen Windeln

Sarah (34 Jahre, Sozialpädagogin und Systemische Familientherapeutin) und Hannah (26 Jahre, Sozialarbeiterin) sind beide junge Mütter und  kennen die Herausforderungen der ersten Babyjahre ganz genau. Beide sind beim Jugendhilfeträger Lionhof e.V. in Mainz-Layenhof angestellt und bringen gerade das neu konzipierte Familienzentrum an den Start. Sie berichten über ihre Erfahrung als Mütter und warum es wichtig ist, dass Mütter und Väter einen vertrauensvollen Ort haben, an dem sie sich begegnen können und  bei Bedarf niedrigschwellige Beratung finden. 

Familie ist etwas Wunderschönes – was sind für Euch die besonderen Glücksmomente in der Elternschaft?

Hannah: „Jede Mama und jeder Papa würden Glücksmomente wahrscheinlich sehr individuell definieren. Für mich persönlich war es das Schönste auf der Welt, wenn mein Sohn ruhig und entspannt auf meinem Bauch geschlafen, vor sich hingeträumt und Babygeräusche von sich gegeben hat. Manchmal hat er dann auch unbewusst gelächelt – zum Dahinschmelzen.“

Sarah: „Für mich ist und war es das pure Glück, wenn eines meiner Kinder selig schlafend auf meiner Brust lag – es gibt nichts Friedvolleres, da kann ich mich Hannah nur anschließen. Die Liebe von Babys und kleinen Kindern ist so echt, so unverfälscht und vor allem absolut bedingungslos – das von meinen Kindern zu spüren und zu erleben ist für mich ein absoluter Glücksmoment in meiner Elternschaft.“

Das erste Babyjahr steckt voller großer und kleiner Herausforderungen - Mit welchen Grenzerfahrungen habt ihr Euch im ersten Babyjahr konfrontiert gesehen und wie habt ihr diese gelöst?

Hannah: „Die ersten Tage nach der Geburt habe ich mich gefühlt wie Wonderwoman. Vollgepumpt mit Hormonen und allem, was der Körper so Tolles produziert, um das Erlebte verarbeiten zu können, war ich, trotz offensichtlichem Schlafmangel, richtig fit. Als dann nach ein paar Tagen dieses Glücksgefühl nachließ, kam die erste Erschöpfung und mir wurde bewusst, dass ich neben dem Mama-Sein auch noch ein Mensch mit Grundbedürfnissen bin. Essen, Trinken und Schlafen konnte ich nicht mehr in Ruhe, was mich in dem ein oder anderen Moment in die Verzweiflung getrieben hat. Ich habe mich hin und hergerissen gefühlt, zwischen meinen eigenen Bedürfnissen und dem Anspruch meine Bedürfnisse hinter die meines Kindes zu stellen. Ich hatte unglaublich mit meinem schlechten Gewissen zu kämpfen, dass ich überhaupt darüber nachdachte, meine Bedürfnisse vor die meines Kindes zu stellen, dass es wirklich ein emotionales Auf und Ab war. Letztlich hat mir geholfen aus diesem gedanklichen und emotionalen Durcheinander herauszukommen, dass ich mir immer wieder bewusst gemacht habe: „Ja, ich bin jetzt Mama und ja, ich bin aber auch ein Mensch und ja, es ist Ok, wenn sich mein Mann um meinen Sohn kümmert, dass ich Zeit habe, mich auch um mich zu kümmern.“ Dabei musste ich auch lernen, Bedürfnisse früh und deutlich an meinen Mann zu kommunizieren, damit er auch die Möglichkeit hatte, mich zu entlasten und sich um unseren Sohn zu kümmern, sodass ich Zeiten für mich hatte.“

Sarah: „Die größte Grenzerfahrung für mich persönlich war die starke Fremdbestimmung. Ab sofort konnte ich nicht mehr selbst entscheiden, wann ich esse, trinke, schlafe oder Freizeit habe. Der Schlafmangel hat mich sehr dünnhäutig gemacht und die Vielzahl an Dinge, an die nun gedacht werde musste, hat mich schlicht überfordert – haben wir eigentlich noch Windeln? Und passen die Bodys in 68 noch? Da muss ich mal gucken und aussortieren. Ach, Mist, ich muss ja noch waschen, das mache ich bevor ich einkaufen gehe, dann kann ich die Wäsche danach direkt aufhängen. Dann muss ich aber jetzt los zum Einkaufen, denn sonst kollidiert diese Zeit mit der Schlafenszeit, ich habe aber noch keinen Einkaufszettel gemacht und wo war eigentlich nochmal die Rechnung, die ich überweisen muss? Hat jemand die Blumen gegossen?…to be continued – dieser Mental Load, gepaart mit Schlafmangel und Fremdbestimmung war eine immense Herausforderung für mich und uns als Familie. Ich wurde grantig, habe mich unverstanden und nicht gesehen gefühlt. Was hat geholfen? Reden und Verstehen! Zunächst mit dem Partner, immer und immer wieder Dinge neu verteilen, Verantwortlichkeiten abgeben, flexibel bleiben, sich bewusst jeden Tag ein paar Minuten Zeit als Paar nehmen und sich mal wieder gegenseitig Sehen – in dem, was einen grade glücklich macht, aber auch in all den Nöten und Bedürftigkeiten. Gesehen und Verstanden werden war für mich schon oft der Schlüssel zu Erleichterung. Geholfen haben mir auch Gespräche mit meinen wunderbaren Freundinnen, die ziemlich zeitglich mit mir Mama wurden. Das Gefühl, dass sich Themen auch in anderen Familien wiederfinden, hat mich erleichtert und ich konnte oft aus ihrem Erfahrungsschatz Lösungen für uns ableiten. Wertvoll waren für mich auch „gute“ Elternratgeber, die mir ein Gefühl davon gegeben habe, was „normal“ ist und mir Wissen vermittelt haben, warum mein Baby grade so ist wie es ist und was es braucht, um zu wachsen. Dieses Verstehen hat mir geholfen Situationen anzunehmen, die Perspektive zu wechseln und in diesem Rahmen das Beste für mich daraus zu machen.“

Wie können sich Eltern Eurer Erfahrung nach gut im ersten Babyjahr unterstützen und auch helfen lassen?

Sarah: „Suche dir ein Dorf! So banal dieser Satz „es braucht ein Dorf, um ein Kind groß zu ziehen“ klingen mag, um so mehr Wahrheit steckt in ihm. Wir Menschen sind eine kooperativ aufziehende Art und es ist völlig gegen unsere Natur vereinzelt in Kleinfamilien zu leben, wo ein Elternteil 40 oder mehr Stunden pro Woche arbeiten geht und das andere Elternteil allein zu Hause mit den Kindern ist. Natürlicher wäre ein Clan, ein Dorf, mehrere Generationen zusammen – Nur sieht heute unsere Realität leider ganz anders aus. Daher, liebe Eltern, sucht euch andere Eltern, spannt die Großeltern ein, sucht euch Gruppen, um euch zu vernetzen, auszutauschen und gegenseitig zu entlasten. Ebenso hilft es, das Leben, euren Alltag zu verlangsamen und zu entschleunigen. Was ihr und euer Kind braucht ist oft schlichtweg Zeit – Zeit zum Spielen, Zeit zum Entdecken, Zeit zum in Ruhe Kaffee trinken und 5 Minuten auf dem Boden ruhen. Ihr dürft faul sein, es ist nicht hipp und gesund ständig busy und gestresst zu sein – wenn es möglich ist, lagert to dos aus, holt euch eine Putzfee, bestellt den Einkauf. Ebenso müsst ihr nicht versuchen „alles unter einen Hut“ zu bekommen. Werft diesen Hut weg! Es geht nicht und es ist auch nicht nötig. Hilfreicher hingegen ist oft die Frage: was ist gerade dran? Und danach die Priorität auszurichten. Euer Energielevel ist maßgeblich für die Atmosphäre in der ganzen Familie – denn wessen Glas leer ist, der kann auch nichts mehr geben, also, sorgt gut für euch, liebe Eltern!

Hannah: „Wie Sarah schon sehr schön verdeutlicht hat – Es braucht ein Dorf! Elternschaft ist keine OneMan-Show. Auch das Wort Eltern zeigt, dass hier mehrere Personen gemeint sind. Egal, wie deine Familienkonstellation aussieht, es geht vor allem um ein Miteinander. Wo mehrere Menschen aufeinandertreffen und dazu noch viele Emotionen und Anforderungen, bedarf es einer guten Kommunikation. Gut meint, dass Bedürfnisse und Gefühle klar und frühzeitig kommuniziert werden. Wenn ich beispielsweise erste Anzeichen von Erschöpfung merke, ist es gut, ich kommuniziere dies direkt und warte nicht, bis meine Energie bis aufs letzte aufgebraucht ist. So hat mein Gegenüber Zeit, rechtzeitig zu reagieren und bestenfalls auch Zeit für Entlastung zu sorgen. Eine gute Kommunikation meint auch aktives Zuhören. Das meint nicht nur die Worte zu hören, sondern mit diesen auch weiterzudenken sowie Inhalte und Bedürfnisse rauszuhören. Gute Kommunikation in einer besonderen Phase, wie beispielsweise dem Wochenbett, meint aber auch, nicht jedes Wort des Partners auf die Goldwaage zu legen. Wenn viele Emotionen im Spiel sind und obendrauf noch eine ordentliche Portion Müdigkeit am Start ist, können schonmal Worte fallen, die man in einem klaren Moment wahrscheinlich nicht gesagt hätte. Schafft euch ruhige Momente, um zu reden, zuzuhören, zu planen und einfach Paar zu sein.“

Wie könnt ihr im Familienzentrum Eltern unterstützen? Was bietet ihr an?

Sarah: „Entlang unseres Slogans: begegnen, begleiten, beraten haben wir vielfältige Angebote für Eltern, die sie auf unterschiedliche Art abholen und unterstützen:

Begegnen möchten wir den Familien durch ein niedrigschwelliges und präventives Angebot, das viele Eltern erreicht, in dem sie mit ihren Alltagsgedanken und Problemen willkommen sind, ein wertschätzender Austausch stattfindet, sie Impulse, Gedankenanstöße und Tools bekommen, welche sie in ihrer Selbstfürsorge und Wahrnehmung der Familiensituation unterstützen. Durch diese Begegnungsstätte soll Familien ein Raum eröffnet werden, in dem sie durch Austausch mit Gleichgesinnten und Eltern in ähnlichen Lebenssituationen in ihrem Selbstvertrauen im Zusammenleben als Familie gestärkt werden. Ganz im Sinne des Clan-Gedankens.

Hierzu findet aktuell jeden 1. Und 3. Mittwoch im Monat von 09.30-11h ein Elterncafé auf dem Gelände des Layhofs statt. Nähere Informationen dazu findet ihr unter: www.lionhof.de/familienzentrum/

Das nächste Elterncafé ist am 04.08.21 – wir freuen uns auf Dich!

Begleiten möchten wir Familien zu spezifischen Themen aus ihrem Familienalltag. Durch vielfältige Workshops, Themenabende, Vorträge sowie Kurse können Eltern ihr Wissen vertiefen, mit Gleichgesinnten und Experten in den Austausch gehen und somit mehr Handlungssicherheit erlangen. Denn Verstehen entlastet oft schon sehr. 

Im Oktober haben wir hierzu Jutta Pipper zum Thema „Babys schlafen anders“ eingeladen (07.10.21, 19h)

Tina Weigand hält, ebenfalls im Oktober, einen Vortrag zum Thema „Baby und Hund“  (22.10.21, 18h)

Meldet Euch gern unter familienzentrum@lionhof.de an

Beraten werden Familien in einem intensiven 1:1 Setting, welches eine individuelle Unterstützung in akuten Themenfeldern, wie Erziehungsfragen, Paarkonflikten und Lebenskrisen ermöglicht.

Solltet ihr Fragen rund um euren Familienalltag haben, unterstützen wir euch gerne mit unserer kostenlosen Familien- und Erziehungsberatung. Vereinbare einen Termin mit Hannah unter familienzentrum@lionhof.de oder 0157-73425475.

 

Gesprächspartnerinnen:
Sarah Haese: Diplompädagogin, Systemische Familientherapeutin (DGSF), Mama von einer Tochter 4 Jahre und einem Sohn (4 Monate)

Hannah Schwitalla: Sozialarbeiterin & Erlebnispädagogin, Mama von einem Sohn (2 Jahre)